Die degenerative Gelenkserkrankung ist sicherlich eine der häufigsten Erkrankungen, die ich in der Praxis antreffe. Kennzeichnend dafür ist der fortschreitenden Verschleiß und die Abnutzung des Gelenkknorpels. Dadurch kommt es früher oder später zu Schmerzen, Bewegungseinschränkungen, Entzündungen und Verformungen (z.B. Arthrosen, Spondylosen etc.). Eine der ersten Fragen, die ich zu diesem Thema von meinen Patientenbesitzern gefragt werde ist neben der möglichen Behandlung: "Was darf unser Hund denn nun noch tun? Müssen wir ihn einschränken?" Meine Antwort: "Das kommt drauf an."
Mir ist immer wichtig, dass meine Patientenbesitzer meine Beweggründe verstehen, denn so kannst du in Alltagssituationen entscheiden, was für deinen Hund richtig ist. Also auf geht's auch diesmal wieder in einen Theorieausflug.
Heute beschäftigen wir uns mit der Physiologie der Gelenke und wie das denn so funktioniert. Für die Bewegung sind vor allem echte Gelenke (Diarthrosen) wichtig. Sie bestehen aus zwei von einer hyalinen Knorpelschicht überzogenen Gelenkflächen, der Gelenkhöhle, einer Gelenkkapsel und stabilisierenden Bändern. Im Folgenden schauen wir uns jede Struktur und ihre Aufgabe noch etwas genauer an.
Der hyaline Gelenkknorpel ermöglich zusammen mit der Synovia (Gelenkflüssigkeit) ein quasi reibungsloses Gleiten der beiden Gelenkflächen aufeinander. Hyaliner Knorpel kann nicht ersetzt werden, lediglich können kleinere Defekte mit Faserknorpel ausgefüllt werden. Dieser kann die Aufgaben des hyalinen Knorpels durch seine fehlende Elastizität und Belastungsfähigkeit nur unzureichend erfüllen. Größere Defekte können dagegen vom Körper selbst nur sehr schwer bis gar nicht aufgefüllt werden. Das liegt mit unter daran, dass der Gelenkknorpel keine Blutgefäße besitzt. Daher muss die Ernährung der Knorpelzellen ebenfalls anderweitig erfolgen.
Hierfür ist die Gelenkkapsel von entscheidender Bedeutung, denn sie bildet mit ihren inneren Anteilen die Synovia. Sie besteht unter anderem aus Elektrolyten und Nährstoffen die bei jeder Bewegung den Knorpel ernähren kann. Am besten stellt man sich den Knorpel hierfür wie einen Schwamm vor: bei Lastaufnahme wird die Flüssigkeit (inklusive Abfallprodukte aus den Knorpelzellen etc.) aus dem Schwamm gepresst und bei Entlastung saugt sich der Schwamm wieder voll. Je visköser also die Synovia, desto schwieriger kann bei Entlastung der Schwamm, bzw. im Gelenk der Knorpel vollgesogen werden. Durch ihre viskösen Charakter schmiert die Synovia aber auch das Gelenk und kann Stöße dämpfen bzw. sorgt mit adhäsiven Kräften mit für die Gelenkstabilität. Die Zusammensetzung der Synovia ist also enorm wichtig, dass alle Funktionen optimal ausgeübt werden können.
Die äußeren Anteile der Gelenkkapsel sorgen zusammen mit den Gelenkbändern bzw. Sehnen bestimmter Muskeln für die Stabilität des Gelenkes. In beiden Strukturen finden wir Kollagenfasern, die für die Festigkeit und Funktion eine entscheidende Rolle spielen. Sie richten sich nach mechanischer Belastung aus und werden bei Belastung "stärker". Bewegung und Belastung ist also für stabile Gelenke von entscheidender Bedeutung.
Was verändert sich nun durch eine degenerative Gelenkserkrankung am Gelenk? Im Alter, durch hohe Aktivität oder inkongruente Gelenke kommt es zum Knorpelverschleiß. Dieser wird wie bereits beschrieben durch "minderwertigen" Faserknorpel ersetzt, der die Aufgaben des hyalinen Knorpels nicht ganz erfüllen kann. Reibung und eine verminderte Elastizität sind die Folge und führen zu weiteren Degenerationen. Es kommt zu Gelenkkapselentzündungen durch die mechanische Reizung (falsche Belastung) oder durch Knorpelabbauprodukte. Dadurch kann sich die Synoviazusammensetzung verändern und die Knorpelernährung verschlechtert sich. Durch Fehl- bzw. Überlastung entstehen außerdem Schmerzen v.a. auch in der Muskulatur, die zu einer geringeren Gelenksbewegung führen. Erneut leidet der Knorpel, da seine Ernährung durch die fehlende Bewegung eingeschränkt wird. Fehl- oder Überbelastung einzelner Strukturen führt außerdem zu Calciumphosphateinlagerung in Bändern. Dadurch werden diese weniger elastisch und weitere Instabilitäten entstehen. Gelenkinstabilitäten versucht der Körper weiter durch Knochenzubildungen auszugleichen. Die Arthrose entsteht und kann erneut die Gelenkkapsel mechanisch reizen. Der Teufelskreis ist also in vollem Gange.
Mit diesem Wissen kehren wir nun zu meiner Aussage zurück: Es kommt drauf an.
Durch den Ausflug in die Theorie ist sicherlich eine Sache klar geworden: der Knorpelverschleiß ist das zentrale Thema bei degenerativen Gelenkserkrankungen. Wie bereits gezeigt hat der Knorpel zentrale Aufgaben für die Funktion des Gelenkes. Eine weitere Problematik habe ich bisher noch nicht angesprochen: der Knorpel besitzt keine Nerven, der subchondrale Knochen jedoch schon. Das bedeutet, ohne Knorpelschicht entstehen bei jedem Schritt Schmerzen. Oberste Priorität hat bei der Behandlung also der Knorpel. Und da die Bewegung eine zentrale Rolle in der Knorpelernährung einnimmt, muss eine geregelte Bewegung stattfinden. Diese sollte kontinuierlich sein, ohne schnelle Stopps oder Wendungen, bei denen höhere Kräfte im Gelenk wirken. Durch die fehlende Wirkung natürlicher Stoßdämpferfunktionen in degenerativen Gelenken verursachen diese Belastungsspitzen und damit weitere Traumata des Knorpels. Aber nur durch Bewegung an sich kann eine entsprechende Versorgung des Knorpels gewährleistet werden. Zusätzlich kann der Knorpel durch Nahrungsergänzungsmittel unterstützt werden, indem z.B. dem Körper die Grundbausteine für Bestandteile der Synovia ausreichend zur Verfügung gestellt werden. Hierzu gehören u.a. Hyaluronsäure und Glucosamine. Weitere Möglichkeiten sind die Entzündungskontrolle und Schmerzreduktion durch Homöopathie, Phyto- oder Mykotherapie. Gibt es Inkongruenzen im Gelenk oder ist der Knorpel bereits abgenutzt und bestimmte Bewegungen bereiten Schmerzen, kommt die Muskulatur ins Spiel. Diese Schmerzen können übrigens auch unbewusst-unterbewusst stattfinden. Das heißt, der Schmerz kommt noch nicht im Gehirn des Hundes an, ist im Gangbild aber bereits sichtbar. Hierzu zählt z.B. der LSÜ-Twist, das Popowackeln bei einer Hüftdysplasie. Durch die Dehnungsrezeptoren der Gelenkkapsel der Hüfte kommt es zum reflexartigen "Festhalten" der Muskulatur im Kruppenbereich. Um nun den Raumgriff weiterhin zu gewährleisten muss der Hund das gesamte Becken mit nach links oder rechts führen. Die Muskulatur ist also das "Fallnetz" für schmerzende Gelenke (bewusst oder unterbewusst). Schmerzende Bewegungen werden muskulär vermieden und Gewicht umgelagert, um das Gelenk zu schonen. Verschiedene Muskelgruppen müssen mehr arbeiten, um das Defizit auszugleichen. Sportlichen Hunden gelingt dies natürlich leichter, als spärlich bemuskelten Tieren. Nicht selten treten Lahmheiten in Folge von inkongruenten Gelenken daher "plötzlich" nach einer Zwangspause auf. Die Muskulatur baut ab und plötzlich sind die Schmerzen für den Hund spürbar, die bis dato von der Muskulatur abgefangen wurden.
Ist dein Hund also vor der Diagnose regelmäßig mit in die Berge gekommen, schränkt diese Unternehmungen nicht komplett ein. Vielleicht sind es ab sofort nicht mehr so große Touren oder ihr nutzt bei Arthrosen in der Vordergliedmaße zukünftig öfter die Bahn nach unten. Damit aufhören würde ich jedoch nicht empfehlen. Seid ihr bisher 1-2 Stunden am Stück gelaufen, dann verteilt diese Zeit auf mehrere Spaziergänge. Oftmals kann so das Tagespensum und damit auch die Muskulatur aufrecht erhalten werden. Versucht in Zukunft weiche Untergründe zu wählen. Dadurch reduziert sich die Stoßwirkung auf die Gelenke und zusätzlich fordern Wiesen und Wälder zu mehr Gelenkbewegung auf. Der weiche Untergrund stabilisiert zudem Bänder und Gelenkkapsel durch die mechanische Beanspruchung und damit Ausrichtung der Kollagenfasern.
Das geliebte Ballspielen kann eventuell ins Wasser verlegt werden und so zusätzlich ein wunderbarer Effekt auf die Gelenkbeweglichkeit alleine durch die Schwimmbewegung erzielt werden. Zusätzlich bieten sich viele Übungen an, die den Hund mobilisieren und seine Koordination fördern. Balancieren, Slalom, Cavaletti und Co. können tolle Erfolge erzielen. Selbstverständlich sollte mit diesen Hunden kein Hundesport mehr betrieben werden. Akuten Entzündungen oder Schmerzen muss ebenfalls teils mit Schonung begegnet werden. Durch ein entsprechendes Bewegungsmanagement können diese Phasen aber oft vermindert bzw. sogar vermieden werden.
Fazit ist also: der Leidtragende bei degenerativen Gelenkserkrankungen ist der Gelenkknorpel. Das Fallnetz der Gelenke ist die Muskulatur. Beiden muss also besondere Pflege zu teil werden. Und genau hier kommt die Physiotherapie ins Spiel. Sowohl Knorpel als auch Muskulatur sind durch eine regelmäßige Physiotherapie wunderbar zu pflegen. Verspannte Muskulatur erzeugt weitere Schmerzen und führt zu mehr Verspannungen genau wie die zwangsläufige Überlastung weiterer Bereiche. Verspannte Muskeln bedingen wiederum Gelenksblockaden bzw. Fehlbelastungen - zwei mögliche Ursachen für den Knorpelverschleiß und damit der Beginn einer neuen Arthrose. In der Physiotherapie lockern wir verspannte Muskeln, unterstützen die Knorpelernährung durch verschiedenste passive Bewegungen und verbessern das Gelenkspiel. So kann das betroffene Gelenk und v.a. der Knorpel bestmöglich versorgt werden.